Anthropometrie: Einflussfaktoren auf Koerpermasze
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Einflussfaktoren auf die Variation von Körpermaßen
Geschlecht
- Vergleich Frau zu Mann
- ca. 13 cm geringere Körperhöhe
- breiteres Becken
- schmalere Schultern
- kürzere Extremitäten, kleinere Hände und Füße
- stärkere und anders verteilte Korpulenz
- Proportionsunterschiede im Verhältnis Rumpf zu Extremitäten
- längerer und tieferer Rumpf, breiterer Unterrumpf
Alter
- Vergleich Erwachsene und Jugendliche (Jugendliche gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz ab 15 Jahre)
- Körpermaßendwerte noch nicht erreicht
- Wachstumsschübe vorhanden
- Längenwachstum im weiblichen Geschlecht bis ca. zum 18.Lebensjahr, im männlichen Geschlecht bis nach dem 20.Lebensjahr
Beachtung bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen für Auszubildende
Quelle 1: Körpermaße aus B. Flügel; H.Greil; K.Sommer: Anthropologischer Atlas. Alters- und Geschlechtsvariabilität des Menschen - Grundlagen und Daten. Verlag Minerva edition Wissen, 1986
- Vergleich jüngere und ältere Erwachsene - Veränderung der Körpermaße bei älteren Menschen
Einfluss ontogenetischer Alternsprozesse auf Längen- und Korpulenzmaße
- Abnahme von Körperhöhe und Stammlänge
- Haltungsverlust, Dehydrierung der Zwischenwirbelscheiben, Alterskyphose der Wirbelsäule
- Anschein relativer Langbeinigkeit aufgrund veränderter Proportionen von Rumpf zu Extremitäten)
- kürzere Extremitäten
- Zunahme von Brustkorbtiefe und –breite
- Brustkorbtiefe nimmt stärker zu als Brustkorbbreite (Thorax tonnenförmiger)
- Zunahme von Körperumfang, Körpersitzbreite, Körpersitztiefe, Unterkörpertiefe
- z. B. Sitztiefe F95: 20-29 Jahre: 518 mm versus 60-69 Jahre: 539 mm
- z. B. Körpersitzbreite F95: 20-29 Jahre: 427 mm versus 60-69 Jahre: 463 mm
- Gewichtszunahme, Zunahme der Extremgruppen sehr schlank – stark adipös
- Korpulenzzunahme mit zunehmendem Alter
- im fortgeschrittenen Erwachsenenalter Körper wieder schlanker
- z. B. Körpermasse M50: 20-29 Jahre: 75,4 kg 50-59 Jahre: 84,3 kg 60-69 Jahre: 82,9 kg
- z. B. Körpermasse F50: 20-29 Jahre: 60,9 kg 50-59 Jahre: 67,6 kg 60-69 Jahre: 70,8 kg
- Zunahme von Handdicke, Daumenbreite, Zeigefingerbreite
- Zunahme von Ohrlänge und -breite
- Abnahme der Handgelenkbeweglichkeit (Extension, Flexion, Pronation, Supination)
- Abnahme der Beweglichkeit der Halswirbelsäule (Beugung, Streckung, Seitbeuge, Kopfdrehung mit und ohne Rumpfdrehung)
- z. B. Kopfrotation nach rechts F50: 20-29 Jahre: 76° 50-59 Jahre: 68° 60-69 Jahre: 62°
- z. B. Beugung des Kopfes nach vorn: M50: 20-29 Jahre: 69° 50-59 Jahre: 53,5° 60-69 Jahre: 51°
Quelle: H.Greil, A.Voigt, C.Scheffler: Optimierung der ergonomischen Eigenschaften von Produkten für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Anthropometrie. BAuA F1299 (2007)
Daten Bild rechts aus: http://www.sizegermany.de/pdf/SG_Abschlusspraesentation_2009.pdf, Abruf 28.10.2010
Säkulare Akzeleration (positiver säkularer Trend)
(lateinisch):
- Saeculum: Jahrhundert
- acellero: beschleunigen
Beschleunigtes und vermehrtes Größenwachstum einer jüngeren gegenüber einer früheren Generationen
Allg.: eine gegenüber dem Durchschnittswert beschleunigte Entwicklung Die Menschen erreichen eine größere Endhöhe, werden schneller groß
- Ursachen
sozioökonomische Lebensbedingungen
- verbesserte hygienische Verhältnisse
- hochwertige Nahrung
- Abnahme Erkrankungshäufigkeit und –schwere während des Wachstumsalters
- Akzelerationsprozess seit ca. 150 Jahren nur in Wohlstandsländern (europäische Staaten, Nordamerika, Australien, Neuseeland, Japan)
- allmähliche Stagnation des positiven säkularen Trends in den Längenmaßen (in Norwegen, USA; in Deutschland bei Schulanfängern seit ca. 1994, da keine nennenswerten Fortschritte mehr im Lebensstandard
- s. Quelle H.Greil, A.Voigt, C.Scheffler: Optimierung der ergonomischen Eigenschaften von Produkten für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Anthropometrie. BAuA F1299 (2007))
- nahezu unveränderte Körperhöhen in den vergangenen hundert Jahren in Indien, der Türkei und Kolumbien
- Verringerung der Körperhöhe in Kenia und Chile
- s. Prof. Georg Kenntner in: http://www.klm-hannover.de/medien/lexi-tv.pdf, Abruf 28.10.2010
- Indikator für die Lebensqualität einer Bevölkerung
- biologischer Lebensstandard in den west- u. nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten höher als in den USA:
- positiver säkularer Trend in den Längenmaßen bei der erwachsenen deutschen Bevölkerung noch andauernd
- säkularer Trend besonders bei großen Menschen zu beobachten, kleine Personen bleiben eher klein
- ältere Erwachsene im Mittel kleiner und korpulenter als gleichzeitig gemessene junge Erwachsene
- Abnahme der Längenmaße bereits zwischen der Altersgruppe der unter 40-Jährigen und über 40-Jährigen, nicht erst zwischen älteren Erwachsenen
- Abnahme der Körperhöhe im Alter durch altersbedingte Schrumpfung und verminderte Streckfähigkeit der Wirbelsäule und durch gleichzeitig überlagerten säkularen Trend
- s. Quelle H.Greil, A.Voigt, C.Scheffler: Optimierung der ergonomischen Eigenschaften von Produkten für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Anthropometrie. BAuA F1299 (2007))
- Zunahme der Körpermasse und damit in der Generationenfolge Zunahme des positiven säkularen Trends
- Zunahme der Korpulenz, z. B. Brust-, Taillen-, Hüftumgang bei beiden Geschlechtern
Ethnische Differenzierung
Ethnische Gruppe: Gruppe von Individuen, welche eine geographische Region bewohnen und physiologische Gemeinsamkeiten aufweisen
einzelne Nationen ethnisch unterschiedlich stark vermischt, aber i. allg. in jeder Nation dominierende ethnische Gruppen
- Negroiden: dunkelhäutige Menschen in Afrika; kleinere Teile in Asien, Pazifikinseln
- Kaukasoiden: hell- und dunkelhäutige Menschen in Europa, Nordafrika, Kleinasien, Mittlerer Osten, Polynesien
- Mongoloiden: Zentral-, Ost-, Südostasien; Urbevölkerung Amerikas
Unterschiede:
- in absoluten Körpermaßen
- in Proportionen
- Nordeuropäer > Südeuropäer (ca. 8 cm)
- Greifraum Nordeuropäer > Greifraum Südeuropäer
- Extremitäten Schwarzafrikaner > Extremitäten Europäer
- Greifraum Asiaten < Greifraum Europäer
- Ausprägung des Geschlechtsunterschiedes in den Körpermaßen in Nordeuropa geringer als in Südeuropa
Proportionale Unterschiede
- unterschiedliche Körperproportionen vorhanden
- Person mit Körperhöhe 95.Perzentil weist nicht zwangsläufig eine Stammlänge, Schritthöhe und Armreichweite des 95.Perzentils auf
- Verhältnis Stammlänge zu Schritthöhe oder auch Körperhöhe zu Körpersitzhöhe (Stammlänge) führt zur Variationsbreite: langbeinig, kurzbeinig (Sitzzwerg, Sitzriese)
Sitzriese (kurzbeinig): langer Körperstamm, kurze Beine
- gemäß DIN 33419:1993 (zurückgezogen): Stammlänge > 54% der Körperhöhe
Sitzzwerg (langbeinig): kurzer Körperstamm, lange Beine
- gemäß DIN 33419:1993 (zurückgezogen): Stammlänge < 49% der Körperhöhe
Beispiel:
Je nach Referenzpunkt ergeben sich unterschiedliche Anforderungen.
Alle Pilotenaugpunkte müssen im sog. DEP (Design Eye Point) liegen. Daraus resultieren ergonomische Anforderungen an die Lage von Hand-, Fußstellteilen und der Sitzverstellung.
Im Fahrzeug hingegen sind alle Nutzer mit dem Ballen auf dem Pedal fixiert, was Auswirkungen auf die Position von Handstellteilen, Sitz und Augpunkt hat.
- Körpermaße korrelieren unterschiedlich stark miteinander:
- Längenmaße: i. allg. eine relativ hohe Korrelation mit der Körperhöhe
- Bei Veränderung eines Körpermaßes (Zu-, Abnahme) ändert sich das Bezugsmaß tendenziell in gleicher Weise
- Breiten-, Tiefen-, Umfangsmaße, Abmessungen von Hand, Fuß und Kopf: relativ geringer biometrischer Zusammenhang zu Längenmaßen des Körpers
- Maßabhängigkeiten und -zusammenhänge für Gestaltungsaufgaben von Interesse:
- Fragestellungen z. B.:
- Haben größere Personen zwangsläufig eine größere Stammlänge bzw. Augenhöhe im Sitzen?
- Sollte eine horizontale Sitzverstellung mit einer vertikalen zwangsgekoppelt werden, d. h. müssen Personen mit kürzeren Beinen gleichzeitig höher platziert werden?
- Haben kleinere Personen kürzere Arme, müssen kleinere Personen zwangsläufig näher an Konsolen etc. positioniert werden?
- Überprüfung der Maßabhängigkeit: Nutzung einer Korrelationsmatrix
- Konventionen zur Bewertung von Korrelationen:
- 0.0 < r ≤ 0.2 (sehr geringe Korrelation)
- 0.2 < r ≤ 0.5 (geringe Korrelation)
- 0.5 < r ≤ 0.7 (mittlere Korrelation)
- 0.7 < r ≤ 0.9 (hohe Korrelation)
- 0.9 < r ≤ 1 (sehr hohe Korrelation)
- Quelle: Achim Bühl: SPSS 16. Einführung in die moderne Datenanalyse, Pearson Studium; Auflage: 11., aktualisierte Auflage.2008
Körperbautypologien
- somatischer Körperbautyp nach William Sheldon in den USA
- Weiterentwicklung von Heath und Carter
- Anwendung in der Sportmedizin
- Beschreibung des Ausprägungsgrades jedes Somatotyps in einer Dreierzahl:
- Tripel: Ausprägungsgrad Endomorphie (Fettgehalt), Mesomorphie (Entwicklungsgrad der Muskulatur), Ektomorphie (Entwicklungsgrad des Knochenbaus)
- Endomorphie
- relativer Fettanteil
- Endomorph (Pummeliger Typ)
Merkmale: starke Umfangsneigung und Neigung zum Fettansatz am Körperstamm
- Mesomorphie
- relative muskel-skelettale Robustheit
- Mesomorph (Muskulärer Typ)
Merkmale: starke Entwicklung von Skelett und Muskulatur
- Ectomorphie
- relative Linearität oder Schlankheit (Schmalheit / Schmächtigkeit) eines Körpers
- Ectomorph (Schlanker Typ)
Merkmale: hagerer, dünner Typ; geringes Breitenwachstum mit einhergehendem Höhenwachstum
- in Deutschland Einteilung des Körperbaus nach Metrik-Index nach Strömgren und Conrad (s. Quellen)
Pyknomorph (niedrig-breitwüchsiger Typ)
Metromorph (mittlere Körperform)
Leptomorph (hoch-schlankwüchsiger Typ)
- Verwendung von Metrik-Index-Perzentilen
- 3-Teilung:
- <P20: leptomorph
- P20 - P80: metromorph
- >P80: pyknomorph
- 5-Teilung:
- <P10: streng leptomorph
- P10-P25: moderat leptomorph
- P25-P75: metromorph
- P75-P90: moderat pyknomorph
- >P90: streng pyknomorph
Metrik-Index:
Metrik-Index männlich:
= -0.3647 - (0.0401 ⋅ Körperhöhe) + (0.1253 ⋅ Brustkorbbreite) + (0.1540 ⋅ Brustkorbtiefe)
Metrik-Index weiblich:
= -2.6539 - (0.0348 ⋅ Körperhöhe) + (0.1640 ⋅ Brustkorbbreite) + (0.1799 ⋅ Brustkorbtiefe)
Quellen:
Andrea Voigt: Körperbau, Gelenkbeweglichkeit und Handkräfte Erwachsener im Generationenvergleich, Uni Potsdam, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen FakultätDiss. 2008
Jürgen Fritzsche: Sportanthropologische Untersuchungen zur Konstitutionstypologie von Kampfkünstlern der Sportart Karate (Elitekarateka), Diss. Universität Frankfurt am Main, 2006
Holle Greil: Der Körperbau im Erwachsenenalter - DDR-repräsentative anthropologische Querschnittsstudie. Diss. B Universität Berlin. 1988
Definition in Ergonomienormen:
- schlanker Körperbautyp
- nach DIN EN ISO 15537:2005-03
- Person, bei der mindestens zwei Breitenmaße (vorzugsweise Schulterbreite und Hüftbreite) und zwei Tiefenmaße
- (vorzugsweise Brusttiefe und Bauchtiefe) kleiner sind als bei der Person, die das 25. Perzentil repräsentiert
- nach DIN 33419:1993 (zurückgezogen)
- Betrachtung der Umfangsmaße: Hals-, Bauch-/Hüft, Brustumfang, Körpertiefe
- in 3 Umfangsmaßen < 30.Perzentil
- korpulenter Körperbautyp
- nach DIN EN ISO 15537:2005-03
- Person, bei der mindestens zwei Breitenmaße (vorzugsweise Schulterbreite und Hüftbreite) und zwei Tiefenmaße
- (vorzugsweise Brusttiefe und Bauchtiefe) größer sind als bei der Person, die das 75. Perzentil repräsentiert
- nach DIN 33419:1993 (zurückgezogen)
- Betrachtung der Umfangsmaße: Hals-, Bauch-/Hüft, Brustumfang, Körpertiefe
- in 3 Umfangsmaßen > 70.Perzentil
- mittlerer Körperbautyp
- nach DIN EN ISO 15537:2005-03
- Person, die weder zum schlanken noch zum korpulenten Körpertyp gehört
- nach DIN 33419:1993 (zurückgezogen)
- Betrachtung der Umfangsmaße: Hals-, Bauch-/Hüft, Brustumfang, Körpertiefe
- in 3 Umfangsmaßen < 30.Perzentil und < 70.Perzentil
Quelle:
DIN EN ISO 15537:2005-03: Grundsätze für die Auswahl und den Einsatz von Prüfpersonen zur Prüfung anthropometrischer Aspekte von Industrieerzeugnissen und deren Gestaltung (ISO 15537:2004); Deutsche Fassung EN ISO 15537:2004
Verschiedene in der Gestaltung zu beachtende Variationsreihen:
1: sehr groß, langbeinig, schlank <--> sehr klein, kurzbeinig, korpulent
2: sehr groß, kurzbeinig, schlank <--> sehr klein, langbeinig, korpulent
3: sehr klein, langbeinig, schlank <--> sehr groß, kurzbeinig, korpulent
4: sehr klein, kurzbeinig, schlank <--> sehr groß, langbeinig, korpulent
Am Beispiel eines Fahrersitzarbeitsplatzes resultiert für Variationsreihe 1 in Bezug auf Längenmaße eine große anthropometrische Differenz, wenn die kleine korpulente Frau mit kurzen Extremitäten (kurze Beine und Arme) sowie der große schlanke Mann mit langen Extremitäten Platz nehmen. Der Abbildung (links) kann entnommen werden, dass bei gleichem Fersenpunkt Sitz und Lenkrad Verstellbarkeiten in horizontaler und vertikaler Richtung aufweisen müssen. Dagegen sind aufgrund maßgeblicher Abweichungen in den Breiten-, Tiefen-, Umfangsmaßen zwischen kleinem korpulenten Mann mit kurzen Extremitäten und großer schlanker Frau mit langen Extremitäten Anforderungen an geometrische Verstellbereiche des Interieurs zu erwarten. Zu sehen ist in der Abbildung (Mitte), dass die Lenkradposition für die beiden Referenzpersonen unverändert bleiben kann, während der Sitz eine vertikale und horizontale Verschiebung benötigt. Der erforderliche Gesamtverstellbereich für Variationsreihe 1 zeigt die Abbildung rechts.
Weitere Einflussfaktoren
- Tagesschwankungen
- Asymmetrien
- Abweichung von Körpermaßen in Standardmessposition
- - bequeme Körperhaltung
- - Bewegung
- - Zuschläge für Frisuren, Kleidung, Ausrüstungsgegenstände
- - Addition von Einzelkörpermaßen für Körpermaßketten versus Gesamtmaß
Ableitung von Gestaltungsmaßen aus Körpermaßen
Ergonomische Lösungen werden für eine Zielgruppe entworfen, die in ihren Eigenschaften möglichst genau abzugrenzen ist. Das Gestaltungsobjekt weist Gestaltungsmerkmale (z. B. Sitzbreite) auf, die u. a. auch von anthropometrischen Eigenschaften der Nutzergruppe geprägt sind. Die geometrische Beziehung zwischen Gestaltungsmaßen (Entwurfsparameter) wird über deren Lage und Bewegung in einem Bezugssystem festgeschrieben (z. B. Sitzbezugs- zum Fersenpunkt; fahrzeugfestes Koordinatensystem). Es existieren restriktive Abhängigkeiten bei anthropometrisch bestimmten Gestaltungsmaßen durch perzentilierte Körpermaße und Gelenkbeweglichkeiten. Dieses Referenzsystem beeinflusst, welche Körpermaße in das Gestaltungsmaß einfließen. Liegt z. B. das Referenzsystem an der Vorderkante einer Montagetisches und es ist die maximale Greifweite (direkt vor dem Körper) festzulegen, ist zunächst der Abstand des Schulterdrehgelenkes zur Tischvorderkante in Abhängigkeit von der Rumpftiefe zu ermitteln, um von diesem Drehpunkt aus die Oberarm-Unterarmlänge plus Abstand bis Handmitte als Strecke abzutragen. Der gesamte Greifraum hängt von der Gelenkbeweglichkeit des Schultergelenkes und Schlüsselbeines ab. Die Ermittlung von Gestaltungsmaßen (z. B. Sitzverstellfeld) erfolgt i. allg. über deren Berechnung auf Grundlage eines oder mehrerer Körpermaße unter Beachtung des notwendigen Perzentils und von Zu- und Abschlägen.
Kriterium Arbeitsaufgabe/ Einsatzzweck, Gestaltungsziele
Aus der Analyse der Anforderungen eines geplanten oder zu verändernden Arbeitssystems bzw. Produktes zu dessen Leistungsmerkmalen, zu Ergonomieproblemfeldern, zu neuen Funktionen, zu Arbeitsaufgaben der Bedienpersonen etc. resultiert ein Katalog angestrebter technischer, ergonomischer und sicherheitstechnischer Leistungsparameter und der Produkt- bzw. Systemeigenschaften. Hierin sind u. a. die zu erwartenden Tätigkeiten und Handlungen des Menschen, bestimmte Wirkprinzipien (Technologien) und die gewünschten Mensch-Maschine-Schnittstellen zu beschreiben. Aus einer Problemanalyse werden die zu lösenden Problemfelder formuliert und daraus Gestaltunsziele als Orientierungsvorgabe abgeleitet.
Beispielsweise sind Führerräume und Fahrzeugführerarbeitsplätze von Schienenfahrzeugen nach ergonomischen Gesichtspunkten zu gestalten. Der Triebfahrzeugführer hat Kontroll- und Steuerungstätigkeiten von Fahrbewegungen des Schienenfahrzeugs vorzunehmen. Dabei erfolgt eine permanente Sicht auf die Strecke und Signale. Diese Tätigkeiten hat er im Sitzen und im Stehen auszuführen. Es gibt hand- und fußbetätigte Bedienelemente, wobei wichtige und häufig zu nutzende sowie sicherheitsrelevante Schalter und Taster im optimalen Greifraum bzw. Wirkraum der Füße anzuordnen sind und von einer physiologisch günstigen (arbeitsmedizinisch empfohlenen) dynamisch wechselnden Sitzhaltung auszugehen ist. Dabei darf keine Ablenkung von der Sicht auf die Strecke auftreten. Es ist ausreichender Kniefreiraum auch bei seitlicher Ausdrehung des Sitzes zu gewährleisten. Informationsmittel sind so anzuordnen, dass diese in bequemer Kopfhaltung kontaktiert werden und keine Sichtbehinderungen auftreten. Die Sicht auf hohe und niedrige Signale muss für alle vorgesehenen Körperhaltungen ab einer bestimmten Signalentfernung zur Puffertellerebene sichergestellt sein usw.
Aus diesen allgemeinen Ergonomie- und Arbeitsanforderungen leiten sich z. B. anthropometrisch determinierte Gestaltungsziele ab für:
- Hauptabmessungen des Führerraums,
- Anordnung und Ausführung der Sitzplätze,
- Dimensionierung von Frontscheiben,
- Sichtbedingungen inner- und außerhalb des Führerraums,
- An- und Zuordnung von Bedienelementen auf und in der Nähe des Pultes,
- Pultgeometrie,
- Ausstattungselemente des Führerraums etc. etc.
Kriterium Körpermaß auf Grundlage des Gestaltungsmaßes
An einem zeitlich begrenzt zu nutzenden Maschinenarbeitsplatz sei technisch bedingt nicht genügend Beinfreiraum für eine sitzende Körperhaltung der Bediener vorhanden. Die Arbeitsaufgabe erfordert einen größeren Freiraum für Armbewegungen. Zu prüfen ist, ob der Maschinenarbeitsplatz als Steharbeitsplatz mit Stehhilfe konzipiert werden kann, wobei der dafür erforderliche Fuß- und Beinraum zur Sicherstellung der Beweglichkeit des Oberkörpers und des Hand-Arm-Systems sowie eine Abstützung des Gesäßes gewährleistet sein müssen. Daraus leiten sich folgende Gestaltungsmaße ab:
- Gestaltungsmaße Stehhilfe:
- Abstützflächenhöhe
- Breite der Abstützfläche
- Neigung der Abstützfläche
- Form der Abstützfläche etc.
- Gestaltungsmaß Fuß-, Beinraum:
- Beinraumtiefe auf Kniehöhe
- Beinraumbreite
- Fußraumtiefe auf Knöchelhöhe
Die zugrunde zu legenden Körpermaße, anhand derer die Gestaltungsmaße bestimmt werden, sind:
- Gestaltungsmaß: Abstützflächenhöhe der Stehhilfe
- Körpermaß: Schritthöhe
- Gestaltungsmaß: Beinraum- und Fußraumtiefe
- Körpermaß: Fußlänge
- Gestaltungsmaß: Beinraumbreite
- Körpermaß: Hüftbreite
Für das Beispiel seien drei verschiedene Zielgruppen vorgesehen:
- Zielgruppe 1: ausschließlich Deutschland
- Zielgruppe 2: Bediener in Europa
- Zielgruppe 3: ausschließlich Niederländer
Kriterium Perzentilmaß und Bestimmung des Gestaltungsmaßes
Für das obige Beispiel sollte die Abstützflächenhöhe der Stehhilfe verstellbar gestaltet sein, um unterschiedlich großen Nutzern vergleichbare Körperhaltungsbedingungen zu sichern. kritische Perzentile für das Körpermaß Schritthöhe der zu berücksichtigenden Zielgruppe unter Beachtung verfügbarer Normdaten sind:
- Zielgruppe 1: gemäß DIN 33402-2 (2005): F5 und M95 --> 18-25 Jahre (akzeleriert)
- Zielgruppe 2: gemäß DIN EN ISO 14738 (2009): P5 und P95 (Unisex) --> Alter unbekannt
- Zielgruppe 3: gemäß DIN CEN ISOTR 7250-2 (2013): F5 und M95 --> Alter 18-65 Jahre
Beinraum-, Fußraumtiefe und Beinraumbreite richten sich nach großen Personen, daher sind hier für das Körpermaß Fußlänge und Hüftbreite folgende Perzentile zugrunde zu legen:
- Zielgruppe 1: gemäß DIN 33402-2 (2005): M95 --> 18-25 Jahre für Längenmaße (akzeleriert) --> 41-60 Jahre für Breitenmaße (säkularer Trend)
- Zielgruppe 2: gemäß DIN EN ISO 14738 (2009): P95 (Unisex) --> Alter unbekannt
- Zielgruppe 3: gemäß DIN CEN ISOTR 7250-2 (2013): M95 --> Alter 18-65 Jahre
Die Gestaltungsmaße berechnen sich unter Beachtung von Zuschlägen wie folgt:
- Abstützflächenhöhe AFH der Stehhilfe:
- --> Sh: Schritthöhe --> Z1: Zuschlag für Schuhe
- AFH-max = 0,9 Sh (P95) + Z1
- AFH-min = 0,9 Sh (P05) + Z1
- Beinraumtiefe BRT und Fußraumtiefe FRT:
- --> FL: Fußlänge
- BRT = FL (P95)
- FRT = 2 FL (P95)
- Beinraumbreite BRB:
- --> HB: Hüftbreite --> Z2: Zuschlag für Beinbewegungen
- BRB = HB (P95) + Z2
Zielgruppen 1 bis 3: Region Deutschland / Europa / Niederlande
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